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Lob auf das Duale System - Rede des Schulleiters bei der Freisprechungsfeier am 18.10.2018 im Reichshof Bayreuth

Sehr geehrter Herr Engelbrecht,

sehr geehrter Herr Zimmer,

verehrte Wegbereiter und Wegbegleiter in der beruflichen Bildung - und vor allem: liebe ehemalige Berufsschülerinnen und Berufsschüler!

Im Namen aller Berufsschullehrer überbringe ich Ihnen unsere Glückwünsche zur bestandenen Gesellenprüfung.
Mit der heutigen Freisprechungsfeier sind Sie in Ihrer Bildungskarriere einen bedeutsamen Schritt vorangekommen.
Sie dürfen sich nun qualifizierte Fachkraft nennen. Herzlichen Glückwunsch!

Es ist schon angeklungen: Ein Gesellenbrief fällt nicht einfach vom Himmel. Dafür sind Anstrengung, Leistungsbereitschaft und Durchhaltevermögen nötig – kurz: harte Arbeit.
Der Lohn ist aber groß: Im Vergleich zu jungen Erwachsenen in anderen europäischen Ländern ist Arbeitslosigkeit für Sie kein Thema.
Sie sind auf dem Arbeitsmarkt gesucht und werden gebraucht.
Sie haben sich mit einer dualen Ausbildung einem Qualitätsstandard unterzogen, um den uns die ganze Welt beneidet.

Wir können festhalten: In der Beruflichen Bildung sind wir in Deutschland Weltmeister!
Der Grund dafür ist uns aber oft gar nicht richtig klar.
Und das ist nicht gut. Wir wissen aus dem Fußball, dass Weltmeister auch absteigen können, wenn Bewahrenswertes nicht bewahrt und Verbesserungsbedürftiges nicht verbessert wird.

Darum möchte ich Sie bitten, mit mir zusammen der Frage nachzugehen:
Was ist eigentlich das Bewahrenswerte an einer dualen Berufsausbildung
?

Für Absolventen, die eine solche Ausbildung durchlaufen haben,
also für Menschen wie Sie und ich, sollte die Antwort klar auf der Hand liegen:
Wir waren nicht nur Schüler in der Berufsschule, wir waren auch Auszubildende in einem Betrieb und standen dort unter Vertrag.

Im Betrieb lernten wir die Berufspraxis so alltagnah kennen, dass man sagen kann: praktischer geht es nicht!
Im Betrieb mussten wir nicht nur den Ausbilder oder Chef von unserem Können überzeugen. Wir mussten auch die Kunden überzeugen.

Ein solches Bewährungsfeld kennt kein Schüler, der einen Beruf außerhalb des Dualen Systems erlernt. Eine solche Bewährung kennt auch kaum ein Student!

Dauernde Bewährung in der Praxis gibt es nur in einem Fachbetrieb.
Hier geht es immer um berufliche Wirklichkeit, d.h. um sehr konkrete Situationen, in denen Aufgaben und Probleme gelöst und Lösungen verantwortet werden müssen.

Im Betrieb kann man sich nicht mit langen Diskussionen aufhalten.
Hier müssen Ergebnisse geliefert werden, die durch fachliche Qualität und Kundenorientierung überzeugen.
Auch die Fähigkeit, mit Zeitdruck und Stress umzugehen, ist hier gefragt. Betriebliche Ausbildung ist darum kein Spaziergang.

Kann sein, dass manche Absolventen darum lieber in die Berufsschule gingen? Berufsschule ist aber auch kein Spaziergang!
Hier werden im berufsfachlichen Unterricht reale berufliche Handlungen auf den Prüfstand gehoben und theoretisch fundierte Begründungen für professionelles Handeln erarbeitet.
Dabei stehen nicht etwa persönliche Sichtweisen im Vordergrund, sondern wissenschaftlich abgesichertes Fachwissen.

Ein solches Wissen muss aber erst einmal in den Kopf.
Der Weg von der bloßen Information aus dem Lehrbuch oder Internet zum anwendungsfähigen Wissen im Langzeitgedächtnis ist lang,
genauso anspruchsvoll, anstrengend und Kräfte raubend wie die Arbeit im Betrieb!

Im Mittelpunkt des Unterrichts an einer modernen Berufsschule steht nicht theoretischer Stoff, sondern professionelles Handeln.
Erst in einem solchen Unterricht kommt zum Vorschein, dass es für Problemlösungen nicht nur Wissen und Können braucht.
Realisierte Lösungen müssen auch verantwortet werden.
Und dafür müssen bisherige Einstellungen und Werthaltungen ebenfalls auf den Prüfstand.

So gehören z.B. bei einer Fachverkäuferin zum professionellen Handeln soziale Kompetenzen im Umgang mit Kunden.
Zur Berufskompetenz eines KFZ-Mechatronikers gehört außerdem ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein.

Und wie wichtig in allen Berufen z.B. auch Wahrhaftigkeit ist, sehen wir an der deutschen Automobilindustrie, die mit ihrer Schummelsoftware dem Siegel „Made in Germany“ keinen guten Dienst erwiesen hat.

Deutlich werden soll: Wertevermittlung und duale Berufsausbildung gehören zusammen!
Und weil mit Werten nicht nur Profit, Gewinnmaximierung oder andere materielle Werte gemeint sind, sondern vor allem und zuvorderst humane und gesellschaftliche, stellt diese Art von Wertevermittlung an einer Staatlichen Berufsschule den zentralen Erziehungsauftrag dar.

In Art. 131 der Bay. Verfassung heißt es zurecht: Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.

Bildungsziel der Berufsschule ist damit nicht nur die qualifizierte,
sondern auch die gebildete Fachkraft.

Gebildete Fachkräfte bringen sich über den Beruf hinaus in unserer Demokratie als Staatsbürger ein – nicht auf der Basis von Gewalt,
sondern auf der Grundlage durchdachter und verantwortbarer Argumente.
Wie das geht, lernt man z.B. in Deutsch oder Sozialkunde.

Sie sehen: Auch in der Berufsschule muss gearbeitet werden –
natürlich im berufsfachlichen Unterricht, aber auch in Fächern wie Sozialkunde, Deutsch, Religionslehre oder Ethik.
Solche Fächer finden sich in keinem Ingenieurstudium - und wenn, dann meist nur als Wahlfach, das auch abgewählt werden kann.

Was also ist das Bewahrenswerte an einer dualen Berufsausbildung?
Qualifizierung und Bildung in Betrieb und Schule für verantwortungsvolles Handeln als Fachkraft im Beruf,
als Staatsbürger in der Gesellschaft und
als Privatperson in der Familie.

Wenn Sie sich das alles in einer ruhigen Minute nochmals vor Augen führen, können Sie stolz und dankbar sein, sich einen Gesellenbrief und ein Abschlusszeugnis der Berufsschule erarbeitet zu haben. Beides gehört in einer dualen Ausbildung zusammen. Es ist nicht möglich, das eine zu tun und das andere zu lassen.

Und wenn Sie auf Ihren beruflichen Bildungsweg genauer zurückblicken, werden Sie feststellen, dass duale Ausbildung nicht nur harte Arbeit ist.
Sie macht auch stolz und glücklich, z.B. wenn die Arbeit im Betrieb gelingt und Chef und Kunden zufrieden sind.

Durch diesen Stolz gewinnt man Selbstständigkeit, fundiertes Selbstbewusstsein und persönliche Reife.
Gute Noten im Berufsschulzeugnis leisten dazu einen wichtigen Beitrag.

Wenn Sie diese Überzeugungen mit mir teilen, bitte ich Sie:
Reden Sie darüber in der Öffentlichkeit!
Eine duale Berufsausbildung ist eine ausgezeichnete Grundlage für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung, von der jeder wissen sollte, -
vielleicht vor allem die Eltern, die ihre Kinder nach der Grundschule ausschließlich auf dem Gymnasium gut untergebracht sehen.

Berufliche und akademische Bildung sind gleich stark!
Es gibt deshalb auch jenseits gymnasialer und akademischer Abschlüsse ein erfolgreiches, ehrenwertes und glückliches Leben – nämlich im Bereich der beruflichen Bildung!

Aus tiefer Überzeugung und aus vollem Herzen gratuliere ich Ihnen darum nochmals zu Ihrem Berufsabschluss.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Weiterdenken über Bewahrenswertes und Steigerungsfähiges in der dualen Berufsausbildung und vor allem:
Alles Gute und Gottes Segen auf Ihrem weiteren Weg – beruflich wie privat!

Prof. Dr. Manfred Müller, Schulleiter der BS I BT